Am 28. und 29. Mai begann mit dem Performance-Parcours „Puree-Linie“ der Eröffnungsreigen der neuen whitebox. An der Friedenstraße, Ecke Atelierstraße, die auf das neue Werk 3 hinführt, sammelten sich an den zwei Tagen interessierte Münchner, um in acht Stationen mehr zu erfahren über die Vergangenheit und Zukunft des Geländes. Mitarbeiter, Künstler, Originale erzählten ihre ganz persönlichen Geschichten. Station eins:
Auf der früheren Asphaltwüste des Parkplatzes an der Friedenstraße waren vor kurzem bereits die ausrangierten Schiffs-Container aufgestellt worden, die mit ihren Gebrauchsspuren und den dazwischen platzierten Hochbeeten einen starken Kontrast zum dahinter aufragenden Werk 3 bilden. Hier berichtete der Toni Huber aus der Gemeinde Finsing, dargestellt von Tuncay Acar, vom Kartoffelboom der 60er und 70er Jahre. Manch einer mag sich noch erinnern an die Radiodurchsagen, die erdverdreckten Straßen hinter dem Ostbahnhof betreffend. Mit dem Bulldog ist man hierhergefahren und dann ging es zum Wiegen. Der Brenninger von Pfanni ist dann zur Barbezahlung nach Finsing gekommen und hat die Tausender aus dem Arbeitskittel geholt. Dann ging´s zum gemeinsamen Mittagessen. Soweit die gute alte Zeit. Aber die hatte irgendwann ein Ende und spätestens nach der Konkurrenz Österreichs im Zuge der EU-Beitritts 1995 standen irgendwann die letzten „Vermuser“ still und die Schwemmkanäle blieben leer. 1996 entstand ein ganz anderer Run: Party!
Über den Schutt, südlich des Werk 3, wo der Knödelplatz entstehen wird, zieht die Karawane weiter und hält an auf der Rückseite der ehemaligen Kartoffelhalle, seit den Zeiten der Kultfabrik die TonHalle. Ein Sprayer mit futuristischer Atemmaske steht an der Rückwand, grundiert, sprüht. Wenig Reaktion im Publikum, als er sich als Mathias Köhler vorstellt, mit Loomit können dann sogar die Älteren etwas anfangen. Ja, tatsächlich, seit September 1996, als der Kunstpark Ost aufmachte, ist Loomit hier und macht sich an jede verfügbare freie Fläche – mit Sprayern aus aller Welt, die hierher kommen, weil es eine Ehre ist, sich in dieser Hall of Fame der Graffitis zu verewigen.
Station drei:
Über die Schwemmkanäle geht es zur Nachtkantine, die schon die Tageskantine des Pfanniwerks gewesen war. Dort empfängt uns die Servicekraft Nancy aus Magdeburg. Dass sie gut zur Tatoo Convention passen würde, die jährlich einmal in der TonHalle nebenan die Geinkten und Gepiercten Süddeutschlands versammelt, weiß sie, aber das sei gar nicht ihr Ziel gewesen. Zunächst hatte sie in der Champagnerbar des New York Table Dance gearbeitet, ein Ort, wo man, wie sie sagt, mit schönen Menschen in Illusionen abtauchen kann. Ihr Chef, der Alex, übernahm dann später auch die Nachtkantine und so kam sie kurz darauf dahin, wohin sie wollte. Und das Puree?
Das wird hier immer noch verkauft, auch wenn ein Gast sich einmal beschwert hätte, weil er keine Fertiggerichte wollte. Serviert wird es dann heute dafür mit tätowiertem Arm.
Station vier:
Die meisten Clubs sind bereits verschwunden, aber Junggesellenabende gibt es hier immer noch, hatte Nancy am Schluss gesagt. Und deswegen gehen wir ein Haus weiter in den Schlagergarten, wo uns Bea, die Reinigungskraft aus Bosnien empfängt, die mit ihrem Mann Adil das wegräumt, was die Junggesellen an ihrem letzten Abend in Freiheit zurückgelassen haben. Der Wirt Alex betreibt auch diesen Laden. Und heuer lädt er Bea und Adil sogar nach Ibiza ein! Überhaupt ist der Alex ein super Mensch. Und Marko, der Maler, der die Kitschwände des Schlagergartens gestaltet hat, hat den beiden für zuhause eine sechs Meter breites Bild gemalt. Mit Hund, Boot, Strand und Meer. Zum Abschied singt sie uns ein kleines Lied.
Station fünf:
Über eine enge Treppe geht es in den dritten Stock des Werk 1 gegenüber. Dort, wo sich die digitalen Upstarter Münchens versammelt haben, sitzt im Fensterrahmen seines Ateliers der Popartist Heinz Burghard und genießt den Ausblick und seine Erinnerungen zum Sound von „White A Shade of Pale“. So wie Nick Nolte, der im Film den New Yorker Maler spielte und immer wieder mit seinen farbverklebten Fingern den Kassettenrekorder drückte, um sich vom Song inspirieren zu lassen. Von diesen Farbklecksen auf der Playtaste des Recorders, die Heinz Burghard begeisterten bis zur Ausgestaltung eines Zimmers im New Yorker Künstlerhotel „Carlton Arms“ war es gar nicht so weit gewesen. Er war einfach auf gut Glück losgezogen und hatte sich mit seiner Mappe vorgestellt. Heraus kam ein komplett weiß in weiß gestrichenes Zimmer mit schwarzen Cow-Spots, das ihm viel Anerkennung einbrachte. Und ihn letztlich zu einer Andy-Warhol-Geburtsparty führte, wo er ein Mitglied der Family, neben Ultra-Violet, Alan Mitchet und Billy Name, wurde. Das Atelier von Roy Lichtenstein im Meat Package District hat er nicht gefunden. Aber für Werner Eckart, der selbst ein Jahr in New York gelebt hat, war die Renovierung und Neugestaltung dieses gigantischen Fleischindustriegebiets ein Denkanstoß für das spätere Werksviertel.
Treppab und wieder treppauf zu Alexis aus Griechenland vom Trommelstudio Orama. Alles ist aus Holz – „japanese Style“, wie er sagt. Alexis aus Griechenland sitzt an einer kleinen Marimba und einer Jembe. Er betreibt eine Musikschule für Rhythmik und hat an die 200 Schüler. Er teilt uns auf in drei Gruppen und läßt uns gegenläufige Rhythmen klatschen, was sogar klappt. Froh ist er, dass das Partyvolk weg ist, sagt er.
Station sieben:
Jetzt geht es Richtung Werk 9. Dort befindet sich die Werkbox³, die offene Werkstatt des Detlef Schmitz. Ein Repair Café, wie man auch sagt. Hier bekommt man von Facharbeitern Hilfe auf allen möglichen Gebieten: Schweißerarbeiten jeglicher Art, Drechseln und Drehen, Elektrik und Elektronik, Schneiderei, Lastenräder, Hochbeete, Kompostiertrommeln, Solarantrieb, Windräder, Insektenhotels. Tochter Stefanie bringt Interessierten Siebdruck bei. Detlef Schmitz wird ins anfangs erwähnte Container-Dorf umziehen und dort mit Kollegen eine Zukunftswerkstatt gründen, die sich mit erneuerbarer Energie beschäftigt.
Station acht:
Es geht zurück in die Zukunft des Werk 3. Die Teilnehmer und die Organisatoren des Parcours, Yasmina Bellounar, Cagla Ilk, Aljoscha Begrich und Sabine Ostermann vom Berliner Büro Milk treffen sich in der neuen whitebox zu einem ganz besonderen Schluss-Schmankerl. Werner Mittelbach, Klarinette und Teja Andresen, Kontrabass, beide von den Symphonikern des Bayerischen Rundfunks, spielen aus Paul Hindemiths „Musikalisches Blumengärtlein und Leyptziger Allerley“ den „Marsch der Löwenreichswehr“ und das „Gebet einer Jungfrau in der mixolydischen Tonart“. In der Tat, der skurrile, schräge Hindemith war der perfekte Ausklang für den neuen Klang der Zukunft.