Wer am zweiten Wiesnsamstag eine verlässlich dirndl-, filzhut- und loferlfreie Zone suchte, war bestens aufgehoben beim Konzert von And One im Technikum.
Dort präsentierte EBM-Star Steve Naghavi den zweiten großen Turnaround seiner 25jährigen Karriere mit Trilogie 2 – The Megashow.
Es war im Schnee von Gestern, beziehungsweise im letzten Jahr wohl so dahingesagt gewesen, als der gebürtige Iraner zur Edition der drei CD´s „Propeller“, „Magnet“ und „Achtung 80“ bei der Trilogie 1-Tour seinen Abschied von And One verkündete. Sprach´s und tat´s nicht. Geht eben mal so, mal so in Berlin.
Wie bei CDU-Chef Frank Henkel, der sprach´s ja auch in der Wahlnacht, er trete nicht zurück, doch dann tat er und trat. Und sollte da nicht gerade Dark Electro ebenso unzuverlässig und schillernd sein wie die Politik?
Einer der schillerndsten Protagonisten der Body-Music jedenfalls ist dieser Naghavi, seit 25 Jahren König für einen Tag. Ja, man spürte einen Hauch von Berlin. Da lachten einen im ausverkauften Technikum ungestylte Menschen einfach an: haste schöne Fotos gemacht? Wenig gesichtet wurden depressiv-coole Smartphone-Gazer, angewachsene Wollmützen und Typen, die an die Wand gelehnt mit den Händen in den Hosentaschen ihre Knie kraulten. Body-Music-Feeling. Absolute Tanz-Einsatzbereitschaft.
Im reptilienschwarz glimmenden Anzug kam dann der sichtlich gut Gelaunte heraus, trank einen kleinen Schluck „eines russischen Getränks“, weil es am Vortag beim Tourstart in Stuttgart etwas spät geworden war und los ging es mit „Time-Killer“ von Project Pitchfork.
Hinter Naghavi exekutierten an drei cremeweiß farbenen Kommandobrücken die Kollegen Rick Schah, Joke Jay und Nieco Wiedlitz an zweimal Synthie-Boards und einmal Drum N Syntie. Verlässlich, solide, druckvoll verflochten sie Melodie- und Basslinie und pushten den frivolen Aktivisten von links nach rechts und zurück. Zwischen ebenfalls cremeweiß farbenen Monitoren fand er Zeit, sich über den Graben zu beugen, um einige weibliche Fans zu berühren. Die letzten Backstageausweise waren doch lange vor Tourbeginn schon weg gewesen!
Das höchst aufwändige Lightdesign unterschied sich deutlich vom üblichen Rock-Understatement. Keine herumirrenden Suchscheinwerfer, viel Gegen- und Seitenlicht, selten bunt und oft betörend monochrom. Naghavi nie im Followspot, sondern immer gestriffen, überstrahlt, dann wieder kurz verschwunden.
Vom ersten Moment war die Power da. Und im Gegensatz zur optisch und akustisch synthetischen Ästhetik war im Zentrum Vitalität und Freude. Und das, obwohl düstere Kracher gespielt wurden wie „Zerstörer“, „Für“, „Black Generation“, „Männermusik“ und „Steine für Steine“.
„Alles Gute kommt von unten“, sang der ganze Saal. EBM ist mit Naghavi lebendig – vielleicht auch nur Tag für Tag. Oder wie Tommi Stumpff in Spex, 1985 mal sagte: „Die absolute Trennung von Ethik und Ästhetik ist die Grundvoraussetzung zum Verständnis meiner Musik“.