Am Abend des 12. Januar versammelten sich an die 200 gut eingepackte Menschen in der whiteBOX, um Terje Isungset und Lena Nymark bei einem Eis-Konzert zu lauschen. Auf seinen selbstgebauten Ice-Struments aus teilweise 600 Jahre altem Gletschereis präsentierte er „Winter Songs“, teilweise aus der gleichnamigen CD. Unter anderem wohl auch deshalb, weil ein größeres Publikum wie an diesem Abend doch mit einer Kilowattstunde pro Mensch eine beachtliche Wärmeleistung liefert, wurden die sorgfältig durch Schneiden, Feilen zurecht-intonierten Ice-Struments in isolierenden Schutzanzügen kurz vor Beginn auf die Bühne gerollt und teilweise auch gleich wieder nach ihrem jeweiligen Einsatz eingepackt.
Eine gewisse Ehrfurcht gegenüber der Fragilität und Empfindlichkeit der zu erwartenden Wassererzählung in kristalliner Form machte sich breit. Der Jazzmusiker, Perkussionist und Komponist aus Geilo in Norwegen gilt nach zahlreichen Auftritten auf Festivals und mit den CD´s seines eigenen Labels All Ice Records den Fans in großen Teilen der Welt als performender Schamane. Schließlich kommt ja der bedeutende sibirische Schamanismus auch aus der Kälte. „North West Passage“, das erste Stück bearbeitet ein Inuit-Thema. Zur elegischen, leisen und weit in den Raum ausgreifenden Stimme Lena Nymarks, begleitet Insungset mit Sticks etwas „crashed“ Ice in der Mulde einer Stele, was man als eine Ice-Snare bezeichnen könnte.
Am Boden dient ebenfalls zerkleinertes Eis, mit dem Fuß gestampft, als Hi-Hat. Die handlichen kleineren, aber kompakten Sticks machen, gegeneinander geschlagen, ein lang anhaltendes Ping. Irgendwie muss man an das Sonar denken, mit dem im zweiten Weltkrieg die Aliierten die deutschen U-Boote orteten. Es ist aber auch ein Ping, das sich manchmal über einen frisch zugefrorenen See fortsetzt, wenn man ihn betritt oder einen Stein auf die Eisfläche wirft. Für Fans des Marimbaphons ein besonderer Moment, „A glimpse of light“. Das Iceophon mit breiten Klangstäben auf einem altarähnlichen Postament erklingt ganz leicht, obwohl mit Handschuhen angeschlagen. Die Stäbe sind exakt zu intonieren durch ihre Länge und Dicke. Lena Nymark variert dazu in einer Samba-artiken Stilistik.
Sehr heiter wie der Groove der südlichen Hemisphere im nordischen Eis gespeichert scheint. Aber wie man weiß, das Wasser ist ja ein Informationssystem das weltumspannend Erinnerungen speichert. Sofern es rein ist. Bei „Mellom Fjell“ vergrößert sich das Klangspektrum weiter. Die Iceharp erinnert mal an die mit Bögen gestrichenen Röhren eines Vibraphons, mal an eine Glasharfe, dann meint man wieder kleine Gongs zu hören und das dunklere Pong einer Ice-Bass-Drum ist auch dabei. Lena Nymark navigiert improvisatorisch schnell in der Kopfstimme, sehr hoch. Ice-Snare und Ice-Hi-Hat treiben shuffle-artig an. Dann verschiedene Icehorns, mal in Schalmeien-Trichterform, mal wie ein Jagd- oder ein legendäres Rolandshorn. Das gebogene „Rolandshorn“ scheint tatsächlich wie das gleichnamige der Sage zu rufen. Es erinnert auch an die Klanggespräche, die Albert Mangelsdorf an der Posaune mit Walen und ihren Gesängen führte. Die Schalmei aus Eis dagegen expressiv, scharf für einen Modern Jazz-Chorus geeignet.
Na circa einer Stunde sind die Instrumente der konservierten Wasserinnerung wieder verpackt und gehen auf ihrer Kühlreise zurück ins Land der Fjorde. Von da, aus den Gletschern kommt dieses reine, saubere Wasser, das in kristalliner Form zum Erklingen gebracht werden kann. Mit Wasser aus unseren Wasserleitungen geht das nicht. Statt einem Ping, kommt da nur ein kurzes Plpp, sagt Terje und überlässt das Nachdenken darüber dem Publikum.