Am Samstag, 21. April, fand im Gastatelier der whiteBOX unter dem Titel „Das neue Konzerthaus im Münchner Werksviertel – Kulturschock oder kongeniale Synthese?“ eine Podiumsdiskussion statt, die zustande kam durch eine Initiative von Martina Taubenberger von der whiteBOX. Sie hatte die namhafte Kulturpolitische Gesellschaft e.V. (KuPoGe) eingeladen, über Standort und Stellenwert des neuen Konzerthauses in Werksviertel-Mitte mit nachzudenken.
Die am 10. Juni 1976 in Hamburg-Altona gegründete bundesdeutsche Vereinigung kulturpolitisch interessierter Personen und Institutionen mit Sitz in Bonn, gefördert vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, gilt als einflußreicher Thinktank in Sachen Kultur- und Kunstvermittlung. Moderator von Seiten der „KuPoGe“ war Robert Blank, Chorleiter des WdR-Rundfunkchors und immer noch Münchner. Für den Freistaat diskutierten Robert Brannekämper, CSU, Isabell Zacharias, SPD, Sabine Ruchlinski, KulturRaum München e.V./KuPoGe, Martina Taubenberger, whiteBOX.art und Werner Eckart, OTEC und Geländeigentümer.
Einleitend informierte Werner Eckart die trotz des hochsommerlichen Apriltages zahlreich Erschienenen in einer Videopräsentation über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Kartoffelgeländes, das mit dem Pfannen-Reiberdatschi 1949 seinen Anfang dort nahm, wo in circa acht Jahren dann auf dem Knödelplatz das Publikum der Konzert-Hochkultur seine Snacks ´N´ Drinks zu sich nehmen wird. Schon hier, an der selbstbewussten Namensgebung und mit der Wahl des Standorts Berg am Laim, einem Viertel mit hoher Hartz4-Quote, wird ersichtlich, dass die bayerische und die Münchner Kulturpolitik neue Wege bereit zu gehen waren.
Werner Eckart, Sohn des Kartoffelveredelungs-Unternehmers Otto Eckart, hätte diesen Platz vor dem WERK3 auch nach seinem Vorfahr Theobald Böhm benennen können, der mit dem Böhm-Klappensystem die Querflöte revolutionierte. Das Pfanni-Gelände mit seinen vielen Werken ist ein Paradebeispiel der Verwandlungen. Zweckentfremdungen, Zwischennutzungen – mit 22 Jahren liegen Kunstpark Ost und Kultfabrik auf dem ersten Platz in München – führten seit den 90er Jahren zu einer Hybridkultur, genannt Vielfalt, der eine Hybridarchitektur folgen sollte. (siehe auch Elbphilharmonie) Wo in aufgelassenen Produktionsstätten obsoleter Bedarfe Neues und sich scheinbar Widersprechendes entstand, ohne geschmackliche Berührungsängste, da erschien es nur konsequent, den Konzertbürger des 19. Jahrhunderts mit dem Skater und Rapper des 21. Jahrhunderts zu konfrontieren. Daran haben keine Kulturräte, Kuratoren, Kommissionen herumprojektiert, das ist einfach so gewachsen.
Und so fragt sich die Diskussionsrunde, nachdem Werner Eckart die Entwicklung dieses Werksviertels skizziert hatte, wie nun dieser Vielfalt, diesem scheinbar widersprechenden Nebeneinander der Gruppen, Cliquen, Clans, Fans, der bürgerliche Konzertgänger des 19. Jahrhunderts hinzuzufügen sei, neben den Gästen von fünf Hotels, vom Backpacker über den Messebesucher, zum Hardrocker und Brucknerenthusiasten. Muss die Konzertbesucherin nicht fürchten mit ihren Pumps in der Currywurst hängen zu bleiben? CSU und SPD sind sich grundsätzlich mal wieder einig. Dieses Konzerthaus, das sich mit seinen 44 Metern Höhe und seinem diamantenem Strahlen auf dem knappen Platz wie ein Pulsare im Auge des Betrachters behaupten und wachsen wird, soll ein Konzerthaus für alle sein! Brannekämpe von der CSU, selbst Architekt, scheint sich nicht generell nach allen Seiten öffnen zu wollen, wenngleich natürlich auch er die hybride Hip-Infizierung durch das Fremde unbedingt unterstützt.
Und Isabell Zacharias von der SPD meint wirklich und alles, wenn sie alle und alles sagt und zwar sofort. Aber leicht wird es nicht sein, neben einem Termineigenbedarf des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks von mindestens 30%, internationalen Gastspielen, dem massiven Andrang der großen Veranstalter nach einer langen Zeit der klanglichen Dürre, den Wünschen der Hochschule und der Münchner Symphoniker, günstige oder gar kostenlose Angebote für den großen Rest der Gesellschaft, der möglicherweise bisher an kultureller Teilhabe gehindert war, zu finden. Längst ist nicht mehr nur von Integration die Rede, inklusive Kultur gewinnt zunehmend an Begrifflichkeit.
Nicht nur Prekäre und Senioren, Behinderte und Demente werden in Zukunft Recht auf ein festes Kontingent reklamieren dürfen. Die Kulturetats werden da wachsen müssen, in Richtung kultureller Daseinsvorsorge. Es ist eine bekannte Tatsache, dass unter den 270.000 als arm geltenden Münchnern, es gerade die über 60jährigen sind, die ein ausgeprägtes Interesse an E-Musik haben. Sabine Ruchlinski vom Kulturraum München hat ihre Erfahrungen. Kaum eine Veranstaltung ist ja ausverkauft, im Sprechtheater ist die Auslastung noch geringer. Mit billigeren Karten (Theatergemeinde e.V.) oder kostenlosen (Kulturraum München) füllen gerade große private Konzertveranstalter immer wieder leere Reihen auf. In einem Punkt ist man sich auf dem Podium am Ende erstaunlich einig.
Die zusätzlichen mehreren Millionen für einen Intendanten des Konzerthauses wird man sich sparen. Hat man im Freistaat, angesichts des Scheiterns von Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen und Chris Dercon an der Berliner Volksbühne, erst einmal genug von neuen Formaten? Wie überhaupt wird sich der Wandel der Gesellschaft auswirken, wird am Ende aus dem Publikum gefragt. Eines ist sicher, jenseits aller ästhetischer Fragen, steht die soziale Frage mächtig im Raum: das Konzertpublikum mit seinen Wurzeln im Selbstbewusstsein des 19. Jahrhunderts ist verschwunden. Es hat sich zurückgezogen. Es kann und mag es sich nämlich nicht mehr leisten, seinen Niedergang zu feiern. Das neue Konzerthaus im Werksviertel-Mitte sollte Symbol eines neuen kulturellen Generationenvertrags werden.