Mit dem elektronischen Projekt „Pyanook“ des Pianisten, Komponisten, Musikproduzenten Ralf Schmid, seit 2002 auch Professor an der Hochschule Freiburg, endete am Samstag, 2. Februar, der Programmblock „Digitale Poesie“ des Musikfestivals „Out of the Box“ der whiteBOX.
In „Pyanook“ stecke der Pionier, das Piano und das ewige Eis, sagt Ralf Schmid. Anuk oder Anuuk ist ein Jungenname bei den Inuit, in Frankreich ist Anouk ein Mädchenname und gilt auch als Kosename von Anne. So gesehen kommt im letzten Konzert das Festival auf das Thema Eis zurück, das am 11. Januar im Schneesturm auf dem Dach des Werk 3 mit Terje Insungets „Icemusic“ eröffnete. Für den Avantgardisten Schmid begann sein Projekt der „Digital Augmented Reality on the Grand Piano“ in 2015. Ein Jahr später stellte er im KUBUS-Studio des ZKM Karlsruhe sein Spiel mit den Datenhandschuhen und deren Echtzeit-Klangsteuerung des Klaviers vor. Seit 2017 wurde „Pyanook“ auf Festivals in Freiburg, Rio de Janeiro und Berlin aufgeführt. In München ist er uns bekannt durch das Label ObliqueSound, das er mit Michele Locatelli gründete und auch durch seine Zusammenarbeit mit den Pianisten Gert Wilden junior und Andy Lutter von der Jazzmusikerinitiative München.
Bis kurz vor 20.00 Uhr durfte niemand in die whiteBOX, nicht mal durch den Türspalt schauen. Drinnen arbeiteten still und hochkonzentriert die Techniker um Schmids Art Director Pietro Cardarelli an zwei Flügeln, jeder Menge Elektronik, zwei großen Tonmischpulten, Beamern und dem die beiden Flügel umkreisenden Ring der Moving Lights. Wie würden die zwei Datenhandschuhe, die „Mi.Mu data gloves“ an den Händen des Pianisten die analoge Welt des Grand Pianos verändern, erweitern? Das auf die Datenhandschuhe – Töne, Klänge und auch Bilder – eingespielte Datenmaterial kann frei von der Klaviertastatur zu einem Instrument des Körpers werden.
Bei seinem Stück „Aira“ löst sich Schmid vom Flügel, steht auf und wiederholt mit Arm- und Fingerwegungen Sequenzen, Klanghöhen und -Tiefen des eingespielten Materials. Moduliert, verzerrt, dehnt. Einmal sieht er mit weit geöffneten, ausgestreckten Armen zwischen den Flügeln aus wie ein Zarathustra. Die derart bevollmächtigende Software „Marble AR“ hat der Karlsruher Informatiker Tom Brückner mit Paul Wehner, einem Programmierer aus Los Angeles enwickelt. Beim Ideenwettbewerb auf dem weltweit bekannten Festival South by Southwest (SXSW) im texanischen Austin kamen die beiden auf den ersten Platz.
Ralf Schmid ist sich der Dimensionen dessen, was musikalisch, synästhetisch, multi-sensorisch da noch möglich ist, voll bewusst. Nach wahren Phantasmogorien wie „Aira“, „Waterborne“, Impromptu Reggae“ und „Zwei Elfen“ räumt er bescheiden ein, dass alles, was da die Leute mit offenen Mündern sitzen liess, nur Work in Progress ist. Und in der Tat, man gerät ins Träumen, wenn man sich so vorstellt, dass der menschliche Körper schon bald mit seinen Bewegungen, ja vielleicht sogar mit seinen inneren Regungen, das Instrument selbst sein wird. Ja, ein bisschen grüsst Zarathustra von den hohen Bergen. Was jedenfalls eindrücklicher kaum gezeigt werden konnte, ist die Ahnung, die uns vermittelt wurde, wie groß der poetische Raum zwischen der Eins und der Null wohl sein mag.
Autor & Fotograf: Michael Wüst
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