Im September 1996 ging der Kunstpark Ost an den Start. Für vier Jahre. Zwischennutzungen verkörperten den Reiz des Neuen, seit in den Abflughallen des alten Flughafens Riem Rockkonzerte und Techno Einzug gehalten hatten. Die Zweckentfremdung von aufgelassenen Industrieanlagen und öffentlichen Einrichtungen faszinierte die Hipster, sie erschien ihnen als ein Ausdruck der Freiheit.
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Apple, IBM und Motorola lieferten im Jahrzehnt des Internet die leistungsfähigen Prozessoren, ein weltweites Netz aufzuspannen. Die Infosphäre fügte sich in die natürlichen Sphären rund um die Erde, die aus der virtuellen Vogelperspektive kleiner zu werden schien: Das Global Village. Erinnerte irgendwie an Greenwich Village und verhieß auch Freiheit. Der Neue Markt boomte und 2000 schoss sein Index, der Nemax, durch die Decke und die Dotcom-Blase platzte.
Nach der vollkommenen Sonnenfinsternis des Jahres 2000 verlängerte der KPO noch einmal, aber es war nicht mehr wie vorher, obwohl der Boom unvermindert weiterging und sich durch die „Schinkenstraße“ zwischen Babylon und Nachtkantine jedes Wochenende bis zu 20.000 Feierwütige wälzten.
Die größte Leidenschaft des Hallenmoguls Nöth am Anfang, neben dem Gabelstaplerfahren, war das Umbauen. Wände einreissen, 63 Ampere-Zuleitungen durchflexen, Bühnen bauen, Verschläge, Vordächer, Schleusen, Notausgänge, Schallschutz, Schänken, Küchen, Fettabscheider. Da konnte es schon mal sein, dass ein Promotion-Mensch von Philipp Morris mit einem Millionen-Sponsor-Scheck in der Tasche, in der Nachtkantine wartend, vertröstet werden musste. „I hob koa Zeit! Soi a andersmoi kemma!“
Licht- und Ton-Equipment und festgerockte Schnakenberger-Bühnenpodeste kamen aus den alten Abflughallen, die im Sommer des selben Jahres ihren Rock- und Rave-Betrieb eingestellt hatten und schnell stand das Babylon, damals Münchens größte Disco mit Konzertbetrieb. LXR und DJ Romeo installierten dort die Deep Space Night, zu der am Wochenende „im Durchlauf“ um die 8000 Leute kamen.
Im Durchlauf oder im Geschiebe durch die „Schinkenstrasse“ kam man da auch schon zu Michi Kerns Nachtkantine. Das anspruchslose Essen orientierte sich grundsätzlich an den Anforderungen des Unterzuckerausgleichs, die Speisekarten mit den meisten Rechtschreibfehlern weltweit wurden später in Reinhard Strassers Kunstpark Ost Magazin gewürdigt. Die Drinks waren super, wie die Stimmung. Der Sound lag nur wenige Dezibel unter dem des Babylon. München leuchtete einem ordentlich in die Ohren.
Und übrigens, es ist dem Kunstpark Ost zu verdanken und nicht der so genannten Biergartenrevolution des Vorjahres, dass in diesen Tagen die Aufhebung der Sperrzeit durchkam.
Während die Münchner losfeierten und man davon in Germering, Ebersberg und Mammendorf noch nichts gehört hatte, wurde ab jetzt rund um die Uhr gebaut, die Boschhämmer schlugen mit 128 Beats per Minute. Die Umnutzung selbst war ein Rave. Tanzdieb Gert Schneider von der Seicht und Leicht GmbH eröffnete das K41 und DJ Flo Faltenbacher die Milchbar und gegenüber der Nachtkantine war ein Dönerimbiss mit drei fett rotierenden Fleischbergen, von denen um fünf in der Früh nur noch die Stangen übrig waren.
An anderen Stangen räkelte sich bald Penelope aus Hamburg mit wenig mehr als ihren Stilettos angetan, um sie herum fett glänzende Männergesichter, Becks sabbelnd und mit Dollarnoten wedelnd im New York Table Dance, überwacht von wahren Schränken in schwarzen Anzügen. Ging man von da aus zurück Richtung Ausgang Grafinger Straße, war plötzlich das Starskys entstanden und das Mills. Heute würde man sagen: Ooops, was ist jetzt da aufgepoppt?
Im Starskys stand eine etwa immerhin 1,5 Quadratmeter große Comedian-Bühne, die von Moses Wolf und Matt Devreux bespielt wurde, garantiert ohne jede Vorbereitung. Absolut naturtrüb. Man machte also doch die Runde noch einmal, weil man hatte jetzt von der Werkbar im Werk 3 gehört. Dort saßen auch gern um sieben Uhr in der Früh mal der legendäre Ex-Kulturreferent Jürgen Kolbe mit Ugo Dossi bei einem Weißbier-Frühschoppen.
Und zu solcher Zeit konnte man dort auch Eos Schopohl vom Theater Fisch & Plastik begegnen, die gerade im Kunstpark Forum, aus dem später die whiteBOX wurde, ein Stück von Martin Sperr mit ihm selbst in der Hauptrolle inszenierte: „Münchner Freiheit“. In der Werkbar angekommen, nachdem man drei Stockwerke hochgekeucht war, hörte man auch vom Ultra-Schall, dem Club, der in seinen zwei Jahren im Flughafen Riem bereits legendär geworden war. Doch das ist eine eigene Folge wert. Techno, Ambient and Rave.