Am Freitag, 17. Mai, wollten Martin Rosental und Ugo Dossi in der whiteBOX unter dem Titel „Halfway“ neue Videos, die sich in der Fortsetzung der Ausstellung „Stardust mit Stargast“, die am 14. November letzten Jahres am selben Ort stattfand, zeigen. Nachdem aber der dritte Mediaplayer die Videos nach gutem Probelauf nicht starten wollte, ging man kurzerhand und unaufgeregt ein Stockwerk höher ins Atelier von Martin Rosental, dort musste es ja funktionieren. Da war es dann entsprechend gut voll.
Das neue Video von Martin Rosental startete und heißt „Ein Doppio und ein Cornetto„. Der Erzähler betrachtet sich hier mit nötigem Abstand von unserer Galaxie und nahe der Lichtgeschwindigkeit aus der Zukunft seiner Anderwelt-Reisen in seiner (eigenen?) Vergangenheit beim morgendlichen Espresso in Schwabing. Durch das Bild des Google-Quadrocopterflugs über das Viertel rund um die Herzogstraße grooven zum Funk-Sound der 80er Jahre stringartige Knäuel aus der kleinsten Quantenwelt, zumindest Quark-Inneres. Könnten aber auch kleinasiatische Bällchen aus Zuckerfäden oder abgerissene Chaparall-Knäuel sein, wie sie an einer Interstate durch Arizona über den Asphalt rollen. Oder eben des Pudels Kerne. Ein verliebter Blick also in diese Vergangenheit, die für den lichtgeschwinden Lyriker wie den Kosmologen ja unter gewissen Umständen gar nicht vergangen ist, sondern nur eine Frage des Stand- beziehungsweise Bewegungspunktes. Kontemplation, „in der Früh beim Segafredo um die Ecke in der Straße, wo die Sonne wohnt bis 10.“ Bis 10 oder schon immer und immer wieder morgen wieder um dieselbe Zeit. Kontemplation so schnell, dass die Uhr stehen bleibt: Die Bühne des Nichts ihren Vorhang hebt und alles andere als leer – ist? war? sein wird? Körperlose, masselose Fluktuationen sind Rosentals Wolkenkuckucksheim. Heinrich Hesse war dort, Augustinus, Meister Eckart, Dylan Thomas und auch Harald Lesch in seiner Freizeit. Dort spielt das Kind (immer noch! – nein immer!) mit Feen, Weihnachtshirschen und dem Einhorn am Segafredo-Straßenrand im „Weisswurstradiwunderland„. Und dort wird es auch weiter spielen, wenn wir am Schluss dieses Buch zuklappen, das ein Zeitreisender von der Rückseite der Zeit aus unserem Bücherregal uns vor die Füße geschubst hat.
Das zweite Video, Ugo Dossis „Emerging Signs“ dagegen sind Zeichenarbeiten. Das automatische Zeichnen beginnt in diesen ausgewählten „Arbeiten“ mit der initialen Geste des ersten Moments, der Urgeste des Zeichnens, da eine Hand mit dem Stift einen Punkt markiert. Von diesem Punkt muss sich unweigerlich entfernt werden. Was sich in Bewegung setzt, unterliegt einem Prozess, der in irgendwelcher Weise einem Zeichen, einer Form am Ende nicht mehr auszuweichen vermag. Das Zeichnen scheint sich dem Diktat des Zeichens zu widersetzen, dennoch, in scheinbaren Gegenbewegungen und Abweichungen folgt es einem Logos, der sich schlussendlich rätselhaft, sphinxisch, aber sehr deutlich präsentiert – stets in der Dialektik der Hierophanie: Die Zeichen, die in Dossis Video sich selbst erschreiben, haben oft den Charakter einer verschränkten Verdoppelung. Das ist der absolute Gegensatz zur barocken Allegorie Rosentals.- Ein hochinteressanter künstlerischer Diskurs, der aufgreift, was die Scholastiker des Mittelalters im Universalienstreit bewegte und sich fortsetzte bis zur Ausbildung der Konfessionen, wo die sakramentale Präsenz des Heiligen der Katholiken dem Primat des Wortes der Evangelen entgegen zu stehen begann. Rätselhafter und gleichwohl mächtiger, unmenschlicher blieb aber immer der Primat des Logos, dieses absolut körperlos Fluktuierenden im Nichts. „Halfway“ wird das nächste Mal, vielleicht im Planetarium des Deutschen Museums ein Stück seinem Ziel näher kommen. Aber wir wissen, wie Kafka sagte: „Der Messias wird kommen, einen Tag nach seinem Erscheinen.“
Text: Michael Wüst