Ugo Dossi kam 1996 als erster Künstler in den gerade entstehenden Kunstpark Ost und löste damit eine regelrechte Wanderungsbewegung von Kollegen aus. Noch bevor das Gelände seine volle Partypower entwickeln konnte, die bald in 33 Clubs gipfelte, waren es die Künstler, die die neue Welt betraten. Mit dem Übergang zur Kultfabrik wurde 2004 auf Dossis Impuls hin die whiteBOX gegründet, die bis ins Jahr 2013 75 Ausstellungen – Theater, Tanz, Podiumsdiskussionen und Workshops präsentierte. Nach dem Umbau des WERK3 ist Ugo Dossi wieder einer der ersten, die ein Atelier hier im Werksviertel beziehen. Im Zentrum der Ateliers steht die neue whiteBOX, die am 28. und 29. Mai eröffnet. Wir haben Ihn nach Regensburg begleitet…
Arbeiten von 1976 bis 2016 zeigt derzeit Ugo Dossi in der Regensburger Galerie ARTAFFAIR. In den Räumen einer ehemaligen Privatkapelle in der Nähe des bedeutendsten Doms der süddeutschen Gotik nehmen sich die Arbeiten Dossis, eingebettet in die gotischen Spitzbögen, kongenial, geradezu konspirativ aus. Er selbst bezeichnet sich als Schmuggler des Unbewußten. Was er schmuggelt, sind Reanimationen des im Konstrukt der Geschichte schlummernden Wissens und Ahnens.
Als ästhetischer Neuscholastiker, Wanderer zwischen heller und dunkler Hermeneutik mit astrophysikalischen Hintergedanken, durchbricht er die Chronologie des geschichtlichen Fortschritts und zieht daraus Schleifen, verwandelt Text in Bild. Kognition in Schau. In Rückbindung zu einer Zeit, da Wissenschaft, Religion und Mystik sich noch aus einer Quelle speisten, gelingen ihm Bilder der Zeitlosigkeit.
Zentral dabei sind seine Zeichnungen. Für sie mag gelten, was Hermann Cohen, der bedeutende Vertreter jüdischer Philosophie des 20. Jahrhunderts sagte: „Der Anfang des Denkens ist das Denken des Anfangs“.
Dossis Zeichnen ist grafisches Denken des Anfangs. Der Punkt, von dem die Bewegung ausgeht, findet im Schlusspunkt zu sich zurück. In diesem Sinne entspricht Dossis automatisches Zeichnen dem in der Mystik des Sohar (Buch des Glanzes, Talmud) genannten Verhältnisses von Grund- (lapis primarius) zu Schlussstein (lapis ultimus), das auch zentrales Thema der Kabbala, der Alchemie und der Symbolik der Arkana im Tarot ist. Grund- und Schlussstein sind wie in einer seltsamen Vorahnung auf das Doppelwesen der Photonen, jeweils beides, können ihre Identitäten ineinander verwechseln.
Die kürzeste Verbindung zweier Punkte, die Gerade, erstrebt oder sucht die automatische Zeichnung im seltensten Fall. Es scheint, als sei ihr Weg den psycho-magnetischen Kräften, die um sie herum wirken, unterworfen. Ablenkung, Stauchung, Verdrehung, Ausweichen sind Konstituenzien des erscheinenden Bildes. Die entworfenen, herausgeworfenen Figuren entspringen dem Unbewussten in ungefilterter, unkontrollierter Intuitions-Lichtgeschwindigkeit.
Diese an himmlischer Eleganz nicht zu übertreffenden Entwürfe des freien Unbewussten, dienen Dossi seit vielen Jahren dazu, sie mit Emanationen der Welt zu konfrontieren, sei dies Natur, Architektur, Kosmos oder prähistorisches Artefakt.
So zeigt ARTAFFAIR tief leuchtende Exponate aus der Nefer-Serie mit dem Bild der ägyptischen Nofretete als Hintergrund. Ab dem 5. Regierungsjahr Echnatons trug sie den Beinamen Nefer-neferu-Aton („Schön sind die Schönheiten des Aton“). Auf dem dunklen Glanz des weltraumstillen Gesichts liegt die automatisch gezeichnete Figur eines Embryos.
Auch der berühmte Kuss, „Verführung des Teufels“, ist in einer seiner zahlreichen Variationen zu sehen. Man mag lange hinschauen, aber man wird in dieser dynamisch zärtlichen Pose zwischen dem fliegenden Mobiliar nicht herausbekommen, wer von den beiden im Kuss Verführer oder Verführter ist. Ein Grund vielleicht, warum Ugo Dossi dieses Motiv mehrfach auch in seinen subliminal, unterschwelligen Projektionen verwandt hat (Biennale Venedig, 1986). Diese Projektionen, mittels eines Xenon-Entladungs-Blitzes in der Dauer einer Zehntelsekunde hervorgerufen, sind für das menschliche Auge nur als Nachbild zu sehen.
Ebenfalls begegnen wir: Vortex (Wirbel) und Abyss (Abgrund), zwei makrokosmische Ereignisse der Wiedergeburt der Materie durch den Sturz ins Boden- und Zeitlose. Bemerkenswert ist, was der zeitgenössische Philosoph Wolfram Hogrebe in „Philosophischer Surrealismus“ (S. 120) sagt:
„Wir müssen es geschehen lassen, dass der vollständig bestimmte Schlussstein aus der Kuppel herausbricht und, alle Bestimmung verlierend, auf die Basis, die Sinnlichkeit herunterstürzt, um eben diese mit ungeheurer Wucht nach unten zu durchschlagen. Mit dieser bildlichen Inszenierung machen wir den epistemischen Schlussstein (lapis ultimus) zum epistemischen Grundstein (lapis primarius). Man denkt unwillkürlich an die Erkenntnis des stürzenden Engels.“
Wer fühlte sich angesichts solcher Kontemplationen, die sich bereits ähnlich im Sohar, zurückgehend auf die alttestamentarischen Propheten Ezechiel und Daniel, finden, nicht inspiriert, heutige astrophysikalische Beobachtungen des kosmischen Parade-Vortex schlechthin zu assoziieren? Jenes alles in sich hineinstürzenden Super-Vortex im Zentrum eines schwarzen Lochs? Hier, wo rechnerisch vermutet wird, dass die Zeit stillsteht?
Zu den einzelnen Erscheinungen treten in den letzten Jahren immer mehr die großen Systeme der Mystik. Nachdem Dossi für die Dokumenta 13 seine Installation der 22 Trumpfkarten des Tarots, „2nd Life“ gezeigt hatte, kamen die Arkana 2012 auch in die whiteBOX im Rahmen der Ausstellung „Cui bono“. Nun zeigte er in Regensburg das erste Mal seine Version des Zodiakus, der 12 Tierkreiszeichen. Die aristotelischen Charaktere Feuer, Wasser, Erde, Luft bilden das Zentrum der Ausstellung in ungewohnt heiterer, farbenfroher Hinterlegung der automatisch gezeichneten Löwen, Fische und Steinböcke. Ein feines Grinsen der Götter scheint in den Typologien zu spielen.
Dossi ist zweifellos ein magischer Künstler. Ein Pontifex zwischen Archaik und moderner Naturwissenschaft. Oder eben ein Schmuggler des Unbewussten.
Ugo Dossi – bis 6.5.2016 Galerie ART AFFAIR, Neue-Waag-Gasse 2, Regensburg, 0049 (0) 941 – 59 99 59 1 info@art-affair.net