Mit Jeunesses Musicales hat die whitebox namens ihrer Kulturmanagerin Dr. Martina Taubenberger einen mächtigen Partner an Land gezogen. Diese Kulturorganisation junger Orchester wurde bereits während des zweiten Weltkrieges in Brüssel gegründet und gilt heute als die größte musikalische Jugendorganisation weltweit. Allein die Jeunessses Musicales Bayern zählt 36 korporative Orchester-Mitglieder vom Bayerischen Landesjugendorchester über zahlreiche Formationen an Gymnasien und Musikschulen wie etwa die Ammertaler Nervensägen bis hin zum Tölzer Knabenchor.
Mit „Auftakt“ fand nun in der TonHalle an zwei Tagen das erste Süddeutsche Jugendorchesterfestival statt. Schirmherr der Veranstaltung war Mariss Jansons, Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, der sich Anfang des Jahres bereits für das neue Konzerthaus im Werksviertel eingesetzt hatte. Schirmherren hätte es allerdings bei diesem Wetter durchaus noch mehrerer bedurft, hielten uns doch die Eisheiligen nach wie im Griff. Dennoch war der Eröffnungstag, am 3. Juni, für die in der TonHalle sich langsam Trocknenden ein Ereignis.
Mit Dame Evelyn Glennie und dem schwedischen O/MODƏRNT Kammarorkester unter Leitung von Hugo Ticciati stand ein Highlight auf dem Programm. Wer sich vielleicht wunderte, dass die sieben Violinisten, zwei Bratscher, drei Cellisten und der Kontrabassist mit der Percussionistin Evelyn Glennie barfuß auf der Bühne standen, fand die Erklärung im Phänomen dieser Frau, die wegen einer frühen Erkrankung ihr Gehör größtenteils verloren hat, es aber verstanden hat im Lauf ihres Musikerlebens ihren ganzen Körper zum Ohr zu machen. Mit diesem Ohr ist sie live auf der Bühne verbunden mit den Körperschwingungen jedes Einzelnen des Ensembles. Und wie man im Verlauf des Konzerts fasziniert feststellen musste, wäre es falsch diesen hörenden Körper als Ersatz oder Kompensation verstanden zu wissen, vielmehr erlebte man eine fulminante Erweiterung. Eine Erweiterung, tief in Bereiche akustischer Meditation.
Sie beginnt an der Snare-Drum dramatisch mit dem stets Ereignisse ankündigenden Trommelwirbel. Zieht alle Register der alternierenden und gegenläufigen Doppelschläge „Paradiddle“ und „Mühle“, zieht den Wirbel hinauf in hochfrequente Glätte und endet mit einem energischen Schlag, der tief ins Fell geht. In unser aller: Trommelfell. Ein mächtiges Ausrufezeichen.
Das O/MODƏRNT Kammarorkester sucht sich jetzt in einer kollektiven Improvisation, kommuniziert mit Flageolets, Geräuschen, Schwebungen, geht auf die Motivsuche. Zigeunermoll klagt, öffnet panonische Weiten, bricht wieder ab und schnattert in weiten Intervallen, die dem neutönerischen Gestus entliehen sind. Im Grunde ein Warm Up desjenigen handwerklichen Materials, das in der folgenden Komposition von Jill Jarmans „Mindstream“ verwirklicht wird. Evelyn Glennie, an Marimbaphon und Vibraphon konterkariert weiche, sonore Streichersequenzen, die manchmal an Górecki erinnern, manchmal jäh aufwühlen wie bei Schumann. Tänzerische Passagen, unterstützt von kollektivem Aufstampfen haben östliches Feuer und lassen einen an Chatschaturjan und Bartók denken. Vor allem das Marimbaphon unterbricht aber immer wieder den sich ausbreitenden Wohlklang und ruft zur Neuorientierung auf. Gänzlich mitgenommen wird das Publikum in einem meditativen Prolog von Evelyn Glennie zu Tschaikovskys Serenade.
Die Musiker sitzen auf dem Boden, mit dem Rücken zum Publikum sitzt die Percussionistin an einem Gong. Lange geschieht nichts, oder es scheint eben so. Als schon leichte Unruhe im Publikum entsteht, meint man etwas anderes zu hören und wirklich in gnadenloser Stetigkeit wächst ein Klang heran vom Gong. Resonanzen lassen Quinten auftauchen, im stromartigen Vibrieren scheinen ferne Glocken zu läuten, aus dem Schwirren wird ein Wind, ein Sturm, die Glocken läuten, als würden sie vor einer Sturmflut warnen. Und genauso gnadenlos stetig verschwindet es wieder, das Inferno, das Läuten, das Schwirren und zuletzt das Unhörbare. Langsam erheben sich die Musiker und intonieren die Serenade von Tschaikovsky. Die Gongmeditation belegt eindrucksvoll: die sonoren, weichen Streicherklänge kommen aus dem Nichts, setzen deliziös sanft ein und versetzen die Serenade in ein walzerndes Caféhaus in russischen Weiten. Ein gelungener Auftakt mit einer begeisternden Evelyn Glennie, die uns deutlich macht, dass schon im Nichts der Ton ist – bevor man ihn hört.