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Der Mensch als Ameise? Es gibt im Werksviertel-Mitte einen besonders bunten Ort, den nicht jede und jeder zu Gesicht bekommt.

133 Stufen legen Kinder und Jugendliche auf einem eindrucksvoll gestalteten Lehrklettersteig im WERK3 zurück, um zur Hoch-Stadtalm zu gelangen. Wir haben uns angeschaut, welche Geschichten rund um das Thema Biodiversität sie beim Aufstieg erfahren.

Blattschneiderameisen mit Nahrung für „ihren“ Pilz, mit dem sie in Symbiose leben. Ohne dessen Eiweißkörper würden die Ameisen verhungern.
Blattschneiderameisen mit Nahrung für „ihren“ Pilz, mit dem sie in Symbiose leben. Ohne dessen Eiweißkörper würden die Ameisen verhungern. Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Auf der Tür, die zu diesem Ort führt, ist in grünen Buchstaben „Almschule“ zu lesen. Hinter der Tür beginnt der sogenannte Lehrklettersteig, über den immer wieder Schulklassen auf die Stadt-Hochalm auf das Dach des WERK3 gelangen, eine Dachlandschaft mit Wiese, Hochbeeten, Schafherde und Forscherhütte. Lehrklettersteig? Ein passender Name für das Treppenhaus, wie sich alsbald herausstellt. Die 133 Betonstufen sind hoch. Der Aufstieg beschwerlich. Zum Glück kann und will man auf dem Weg nach oben immer wieder innehalten. Denn die Wände des Treppenhauses sind mit riesigen Graffiti gestaltet, die nicht nur schön aussehen, sondern eine Geschichte erzählen, die im Grunde genommen die Geschichte der Biodiversität ist.

Almschule steht an der Tür, die zur Hoch-Stadtalm führt ...
Almschule steht an der Tür, die zur Hoch-Stadtalm führt ... Copyright: URKERN, Ivana Bilz
... der Weg zur Alm ist beschwerlich und lehrreich zugleich.
... der Weg zur Alm ist beschwerlich und lehrreich zugleich. Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Wie sehr wir Menschen die Biosphäre unseres Planeten bereits verändert haben und mittlerweile prägen, belegen ein paar eindrucksvolle Statistiken. Betrachtet man die globale Biomasse der auf dem Festland der Erde vorhandenen Wirbeltiere, entfallen auf uns Menschen rund 36 Prozent. Die von uns gehaltenen Nutztiere wie Hühner, Schweine oder Rinder machen rund 62 Prozent der Biomasse aus. Wildtiere, also Elefanten, Zebras, Rehe, Affen, Löwen oder Waschbären, machen unter den Festland-Wirbeltieren nur noch 3 Prozent der Biomasse aus. Den 1,6 Milliarden Rindern und Büffeln aus der Tierhaltung stehen nur noch 50.000 wildlebende Elefanten und 100.000 Giraffen gegenüber. Die einst größte Rentierherde der Welt, die George-River-Herde im Osten Kanadas, umfasste in den 1980er-Jahren noch um die 800.000 Tiere. 2022 wurden nur noch 7200 Tiere gezählt, die sich im Herbst auf den langen Weg von Süden nach Norden machen. Ein Rückgang um mehr als 99 Prozent.

In der Natur hängt alles mit allem zusammen.
In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Copyright: URKERN, Ivana Bilz
Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Wer Interesse an den Gründen für diese unheilvolle Entwicklung hat, der kann sich nun auf dem Lehrklettersteig im WERK3 Stufe für Stufe auf den Weg machen. Er lernt dort zunächst den Unterschied zwischen Kultur- und Naturlandschaften kennen. Kulturlandschaften entstehen überall dort, wo wir Menschen gestalterisch in den Naturraum eingegriffen haben. Zum Beispiel, um Landwirtschaft zu betreiben. Oder wo wir Flüsse begradigt haben, und dadurch für die Artenvielfalt und den Hochwasserschutz wertvolle Feuchtgebiete verloren gegangen sind. Feuchtgebiete sind zum Beispiel ein wichtiger Lebensraum für Biber. Die sind eine sogenannte Schirmspezies. Das heißt nicht, dass sie besonders schlechtwetterfest sind, sondern dass sie einen besonders großen Einfluss auf andere Arten haben. Durch ihren Lebensstil schaffen sie die Grundlage dafür, dass andere Arten ebenfalls leben können. Sie spannen einen biologischen Schirm, unter dessen Schutz andere Arten – Pflanzen und Tiere – besonders gut gedeihen können.

Auch Wälder, in denen nur eine Baumart wächst, sind im Grunde genommen Kulturlandschaften, auch wenn wir sie meist als Naturräume wahrnehmen. Die Monokulturen, die im Fachjargon als Dauerkulturen bezeichnet werden, da Bäume ja über mehrere Jahre wachsen, sind anfälliger für Krankheiten und Schädlinge, wie beispielsweise den Borkenkäfer. Stürme können in einem Wald mit Dauerkultur mehr Schaden anrichten als in einem Mischwald. Dauerkulturwälder sind weniger artenreich, da vielen Tieren und Pflanzen der Raum zum Leben fehlt, wie zum Beispiel Unterholz.

Der Tod als Vorraussetzung dafür ...
Der Tod als Vorraussetzung dafür ... Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Doch die von Menschen geschaffenen Kulturlandschaften müssen nicht per se schlecht sein. Auch das erfährt man auf dem Klettersteig, der zwar den Finger in die Wunde legt, ohne jedoch ideologisch zu sein. Überhaupt geht es meistens um Kreisläufe, die im Positiven wie Negativen wirken können. Doch dazu später mehr, zurück zu den „guten“ Kulturlandschaften. Die von Menschen geschaffenen Streuobstwiesen sind zum Beispiel ein echter Glücksfall für die Biodiversität. Bis zu 5000 verschiedene Arten leben auf einer Streuobstwiese. Darunter viele Pflanzen, aber auch zahlreiche Insekten und Vögel sowie Hasen, Feldmäuse, Marder oder Rebhühner. Ein kleiner Tierpark, nur ohne Zaun und Gehege.

 

Aufschlussreich ist auch der Treppenaufgang über die Bienen, der über den so wichtigen Unterschied zwischen Honig- und Wildbienen informiert. Dass Honigbienen vom Menschen gezüchtet werden und im Grunde genommen wie Kühe und Schweine landwirtschaftliche Nutztiere sind, geht im gesellschaftlichen Bienendiskurs gerne unter. Auch die Tatsache, dass zu viele Honigbienen an einem Ort andere wildbestäubende Insekten wie zum Beispiel die Wildbienen verdrängen können, ist kaum bekannt. Eine noch stärkere Ausbreitung der Imkerei mit Honigbienen könnte am Ende sogar negative Effekte haben. Schließlich sind die Wildbienen wichtige Bestäuber. Viele Arten sind dabei auf ganz bestimmte Pflanzen spezialisiert. Stirbt die Wildbiene aus, stirbt mit ihr womöglich die zu bestäubende Pflanze aus, da sie sich nicht mehr so leicht vermehren kann. Umgekehrt ist es übrigens genauso. Stirbt eine Wildpflanze aus, zum Beispiel durch intensive Landwirtschaft mit hohem Pestizideinsatz und Monokulturen, geht mit ihr auch die Wildbienenart verloren.

... dass neues Leben entstehen kann.
... dass neues Leben entstehen kann. Copyright: URKERN, Ivana Bilz
Copyright: URKERN, Ivana Bilz

In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Am Ende geht es immer um Kreisläufe und darum, diese in Balance zu bringen. Das begreift man spätestens bei der vielleicht eindrucksvollsten Installation auf dem Lehrklettersteig: einer Kolonie von Blattschneiderameisen, die hier in symbiotischer Beziehung mit einem Pilz zusammenlebt. Um zu überleben, müssen die Ameisen den Pilz mit Blättern und Blüten von Dornengewächsen wie Rosen oder Brombeeren „füttern“. Der von den Ameisen versorgte Pilz wiederum produziert spezielle Eiweißkörper, die den Blattschneiderameisen als Nahrung dienen. Und so laufen die Blattschneiderameisen im Treppenhaus des WERK3 tatsächlich durch Rohre zum Rosenblattlager und schleppen Blattstück für Blattstück zu ihrem Pilz, damit sie genug zu essen haben.

 

Es dauert nicht lange, bis einem hier klar wird, dass im Grunde genommen wir die Ameisen sind. Und der Pilz, das ist unsere Erde, die uns mit Nahrung versorgt. Und dass wir diesen Kreislauf – wie auf den Etagen zuvor gezeigt – gerade ganz schön aus der Balance bringen, indem wir die Erosion unserer Böden verstärken, den Wasserkreislauf so stören, dass Fluten und Dürren häufiger auftreten, Meere und Festland verschmutzen und bei all dem den Tod tausender Arten hinnehmen.

 

Der Tod ist dann auch das letzte Thema auf dem Lehrklettersteig. Schließlich ist er die Voraussetzung dafür, dass überhaupt neues Leben entstehen kann. Erst die organischen Überreste von toten Pflanzen und Tieren, die von zahlreichen Lebewesen unter die Erdoberfläche gebracht und verarbeitet werden, bilden die Grundlagen dafür, dass in unserem Boden genügend Nährstoffe bereitgestellt werden können, aus denen neue Pflanzen wachsen. Diese Pflanzen dienen den noch lebenden Tieren wiederum als Nahrung. So bleibt der Kreislauf des Lebens, angetrieben von der Energie der Sonne – auch ihr ist eine Infowand auf dem Lehrklettersteig gewidmet – und dem ebenfalls abgebildetem Wasserkreislauf, immer in Bewegung.

Copyright: URKERN, Ivana Bilz
Copyright: URKERN, Ivana Bilz
Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Mit all diesen vielen Informationen und einem Gefühlschaos, das aus Erstaunen, Erschütterung, Bewunderung und ein wenig Unglauben (das kann doch alles nicht wahr sein) besteht, erreicht man schließlich die Hoch-Stadtalm auf dem Dach des WERK3. Man läuft über eine grüne Wiese, auf der Schafe grasen. Sieht die Kürbisse und Kohlrabi in den Hochbeeten. Die Obstbäume, an denen Birnen wachsen. Die Weinreben, die noch ein paar Trauben tragen. Und plötzlich gesellt sich zu den vielen Gefühlen von eben ein weiteres: Hoffnung. Vielleicht können wir in Zukunft ja doch vieles besser machen als bisher.

Text: Daniel Wiechmann

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