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Harry Gruber Siedler im Werksviertel

Das Werksviertel-Mitte versammelt die unterschiedlichsten Menschen. Künstler und Lebenskünstler, Denker und Philosophen, Anpacker und Müßiggänger, Musen und Musiker, Kreative und Freigeister. In unserer Reihe Werksmenschen stellen wir einige dieser Persönlichkeiten vor und gehen der Frage nach, was diese Menschen bewegt und was sie im Werksviertel-Mitte bewegen.

Früher hat Harry Gruber die Nächte im Viertel durchgefeiert, heute rettet er an selber Stelle Lebensmittel
Früher hat Harry Gruber die Nächte im Viertel durchgefeiert, heute rettet er an selber Stelle Lebensmittel Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Im Container Collective fällt ein Container besonders ins Auge. Es ist der rot-grüne, gleich nach dem „Werksviertel-Mitte“-Banner. Bei schönem Wetter stehen gelbe Sonnenschirme davor und einige Pflanzen zieren die Veranda. Und im Container? Da befindet sich der „Grüne Tomaten Foodrescue e.V.“. Der gemeinnützige Verein setzt sich gegen die Lebensmittelverschwendung ein. Seit Februar 2021 leitet Harry Gruber den Verein.

 

Seine Geschichte: Über eine Annonce auf eBay Kleinanzeigen wurde Harry auf den freien Container aufmerksam. Das passte wie die Faust aufs Auge: Der 57-Jährige ist gebürtiger Münchner und kennt das Werksviertel-Mitte schon seit seiner Jugend. „Damals war das hier der Kunstpark.“ Das bedeutete Techno-Partys und drei Tage durchfeiern. „Hier war ich zum Abfeiern und immer Mittendrin!“ Er grinst dabei, als er sich zurückerinnert. Mittlerweile kommt er immer noch in das Viertel, aber nicht mehr zum Feiern, sondern zum Arbeiten.

 

Harry ist in Schwabing aufgewachsen und arbeitete 35 Jahre in der Gastronomie, davon 17 Jahre selbstständig. Dadurch wurde er auf das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung aufmerksam. Doch statt tatenlos zuzusehen, beschloss er, etwas dagegen zu unternehmen. Als er sah, wie tonnenweise Mangos im Großmarkt weggeworfen wurden, weil sie nur wenige Mängel aufwiesen, beschloss er, sie zu kaufen. „Während Corona, im Februar 2021, haben wir gestartet“, erzählt er. Harry postete damals viel auf Facebook, um so viele Menschen wie möglich über sein neu gestartetes Projekt zu informieren. Mit Erfolg: Heute, drei Jahre später, ist aus der Idee ein gemeinnütziger Verein geworden, der die Menschen in und um München mit geretteten Lebensmitteln versorgt.

Was an Lebensmitteln unter der Woche übrig bleibt, wird am Samstag kostenlos an Menschen mit geringem Einkommen verteilt
Was an Lebensmitteln unter der Woche übrig bleibt, wird am Samstag kostenlos an Menschen mit geringem Einkommen verteilt Copyright: URKERN, Ivana Bilz

Obst und Gemüse, das wegen kleiner Schönheitsfehler im Großhandel aussortiert wird, kauft „Grüne Tomaten“ auf und verkauft es in den sogenannten Rescue-Boxen weiter. Die Boxen können entweder im Laden im Container Collective gekauft oder gegen einen Aufpreis an die Haustür geliefert werden. „Unsere Hauptaufgabe besteht darin, so viel Obst und Gemüse wie möglich zu retten und zu verarbeiten“, erklärt Harry.

 

Rentner, Studenten, Familien mit Kindern und Menschen mit geringem Einkommen profitieren samstags von der kostenlosen Verteilung der Rescue-Boxen. Unter der Woche steht Harry außerdem in der Küche in seinem Laden. Dann zaubert der gelernte Koch köstliche Gerichte aus den geretteten Lebensmitteln. Die Gerichte kosten zwischen acht und neun Euro und können auf der kleinen Terrasse vor dem rotfarbenen Container-Laden genossen werden. Im Winter ist im Container so viel Platz, dass „locker zehn Leute einen Platz bekommen“, so Harry. Ansonsten kann man die Gerichte auch mitnehmen. Für den kleinen Hunger gibt es frische Smoothies, aber auch Marmeladen. Je nachdem, welches Obst und Gemüse Harry gerade vorrätig hat.

 

Für Harry ist „Grüne Tomaten“ mehr als nur ein Job, es ist sein Lebenswerk. „Im Moment arbeite ich rund um die Uhr“, sagt er. Die Arbeit dreht sich nicht nur um die Rettung von Lebensmitteln, sondern auch um deren Verteilung in ganz München. Der 57-Jährige macht das fast allein – unterstützt wird er gelegentlich von seiner Tante und seiner Mutter. Bei den Fahrten von seinen Fahrern. Als sie Anfang 2021 starteten, waren es fünf Kisten, die sie in München ausgeliefert haben. Mittlerweile liefern sie sogar bis über München hinaus: nach Bad Tölz, Lenggries und Aying. In München beliefern sie den Münchner Süden. Der Münchner Norden fehlt noch, ein Gebiet, das der gemeinnützige Verein bald erschließen möchte. „Da sind wir gerade zu wenig“, bemerkt Harry, als er über die Notwendigkeit von zusätzlichen Fahrern spricht.

Unter der Woche kocht Harry Gruber aus den geretten Lebensmitteln kleine Gerichte
Unter der Woche kocht Harry Gruber aus den geretten Lebensmitteln kleine Gerichte Copyright: URKERN, Ivana Bilz
Viel zu gut, um es einfach wegzuschmeißen: Tomaten, Himbeeren und vieles mehr
Viel zu gut, um es einfach wegzuschmeißen: Tomaten, Himbeeren und vieles mehr Copyright: Ivana Bilz

Auch an anderer Stelle merkt Harry, dass sie zu wenig im Team sind. Denn er hat viele Pläne, kann diese aber mangels Unterstützung nicht verwirklichen. Harry möchte nicht nur mehr regionale Produkte anbieten, sondern auch Workshops veranstalten, um so sein Wissen über nachhaltige Lebensmittelverarbeitung weiterzugeben. Mit Kursen zum Thema Einkochen und Workshops zum Fermentieren oder Vakuumieren von Lebensmitteln. „Eine Ananas wird bald das Dreifache kosten“, prognostiziert er. Harry sieht in der Förderung regionaler Produkte die Lösung, um den steigenden Preisen, die durch zusätzliche CO2-Kosten verursacht werden, entgegenzuwirken.

Obwohl der gemeinnützige Verein nicht gewinn-orientiert ist, kämpft Harry täglich dafür, dass der Verein finanziell über die Runden kommt. „Wir arbeiten nicht auf Profit.“ „Uns geht es vor allem darum, dass wir die gesamte Infrastruktur bezahlen können“, betont er. Bisher reichen die Spenden jedoch nur so weit aus, dass sie am Ende des Jahres bei plus minus null herauskommen.

 

Wie wichtig Harry die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind, spiegelt sich auch in seinem Gesamtdenken wider. Mit den selbst angebrachten Dachrinnen am Container sammelt er Regenwasser, um seine Pflanzen zu gießen. Mit „Grüne Tomaten“ hat er nicht nur ein Projekt ins Leben gerufen, das Lebensmittel vor dem Wegwurf rettet, sondern auch eines, das Menschen hilft. Damit setzt Harry in München ein Zeichen für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung.

Not all heroes wear capes. Manchmal reicht eine Cap
Not all heroes wear capes. Manchmal reicht eine Cap Copyright: Copyright Ivana Bilz, 2024. All rights reserved.

Was magst Du an Deiner Stadt? In erster Linie ist es meine Heimat. Ich gehöre noch zu den wenigen Menschen, die hier geboren wurden (lacht). Die perfekte Stadt, weil wir direkt im Süden sind. Egal wo Du hinwillst, Du bist schnell da. Ich genieße es einfach in München zu leben!

 

Was magst Du nicht an Deiner Stadt? Die Baustellen! Die machen mich fertig. Ich wohne am St.-Martins-Platz. Da sind vier Baustellen. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich da noch parken soll.

 

Dein Lieblingsort? Ich bin in Schwabing aufgewachsen. Schwabing und Neuhausen sind meine Lieblingsviertel. In Neuhausen insbesondere der Rotkreuzplatz. Auch Giesing finde ich mittlerweile super, das ist ein cooles Viertel geworden!

 

Wann bist Du am liebsten in der Stadt unterwegs? Ich bin kaum in der Stadt unterwegs. Orte wie die Innenstadt oder den Hauptbahnhof versuche ich zu meiden. Ich finde es schön, wie sie die Innenstadt gemacht haben, aber das ist mir zu viel Gewusel.

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